Als Organisator der Reise habe ich versucht alles von dem, was ich bei meinen türkischen Lehr- und Wanderjahren, die ich vor einer Ewigkeit auf der ANTIGONE und auf der PANDAREA absolviert habe, weiterzugeben und unmerklich in unsere Reise einfließen zu lassen.
Eine Prise orientalischer Gelassenheit und undeutscher Höflichkeit habe ich mir dazu verordnet. Nichts wollte ich fordern oder gar durchdrücken. Ich wollte sehen, was bei der aktuellen Wetterlage möglich war und die Dinge laufen lassen, vertrauend auf den hier zuständigen Allah, dass sich wenigstens ein paar Mitmenschen finden lassen, die mithelfen, das zu verwirklichen, was ich mir erträumt habe. Dazu war gar kein fliegender Teppich nötig. Ich wollte einfach nur das Konzept der "Blauen Reise" nachvollziehen und nach Möglichkeit noch einmal an die türkische Südküste zurückkehren, die wir damals zusammen mit Ayse und Hannelore bereist haben.
Zu meinem Traum gehörte es in einer stillen Bucht früh morgens auf Deck zu sitzen, eine halbe Stunde von Sonnenaufgang und die Hände an einer Tasse mit warmem çay zu wärmen. Zum Traum gehörte auch "Steine gucken", schließlich befinden wir uns in einer Kulturlandschaft, die einmal der Nabel der Welt war. Es sollte keinesfalls eine Reise werden, die nur aus dem Aufsuchen von schönen Buchten bestand. Soviel Türkei-feeling, wie nur irgend möglich wollte ich aufsaugen und an meine Mitsegler weiter geben. Da keiner von ihnen diesen Traum kannte, konnte außer mir auch keiner enttäuscht werden. Und das war gut so.
Dabei hätte so vieles schief gehen können: verstauchte Knöchel etwa, aufgeschrammte Knie, Sonnenbrände, verstimmte Mägen, Durchfälle und enttäuschte Mitsegler, weil es bisher nicht gelungen ist unseren Motorsegler wenigstens ein Mal zum Segler zu mutieren. (Hier ist nachträglich eine kleine Korrektur fällig: Am Tag 13 unserer Reise sind wir einen ganzen Nachmittag lang quer über den Fethye Golf gesegelt. Raumschots mit einer Reihe von Halsen sind wir vor dem Wind bis vor Göcek gekommen. Das hatte den Vorteil, dass für den letzten Tag noch per Dingi frisches Brot eingekauft werden konnte).
Ganz zu schweigen von der Vorstellung, dass mich gute und langjährige Freunde mit von der Seekrankheit gezeichnetem Gesicht anblicken, ein vorwurfsvolles und stummes "NIE WIEDER" in den Augen. Es hätte auch passieren können, dass wir einen lustlosen Kaptan gebucht haben mit einem Koch, der außer Junk Food nichts in seinem Repertoire hat. Alles waren leere Befürchtungen. Deine Prognose ist eingetreten:
"Sie werden Euch verwöhnen und Euch die Wünsche von den Augen ablesen."
Inzwischen sind wir mehr als eine Woche an Bord der SHER M. Nachdem wir uns beim Gang zu unseren Kojen genügend oft den Kopf angeschlagen haben, wissen wir, wo wir ihn einziehen müssen und können jetzt sicher, notfalls mit verbundenen Augen oder in der der Dunkelheit, durch das Schiff gehen.
Seebeine sind uns gewachsen und wir fühlen uns in jeder Hinsicht wohl. Und zusammengefasst lautet unser Urteil: Wir erleben eine 5-Sterne Reise. Die Mannschaft, bestehend aus Kaptan Hüseyin, Koch Erkan und Deckshand Sammy, lesen uns keine Wünsche von den Augen ab, sie erahnen sie. Nach wenigen Tagen sind wir in geradezu übersinnlicher Weise miteinander verbunden. Alles klickt zusammen, ganz so, als ob über uns einer mit unsichtbarer Hand Regie führen würde, damit wir eine Traumreise erleben. Ich weiß, dass Traumreise ein abgegriffener Begriff ist, aber es ist so.
Die Vorgeschichte
Doch erst einmal alles ein wenig der Reihe nach. Eigentlich waren die meisten von uns skeptisch, ob wir noch einmal eine solche Reise unternehmen sollten. Der Wunsch ist im letzten Sommer im Garten eines Wirtshauses entstanden. Wolf und Heidi waren zu Besuch aus Mexico nach Deutschland gekommen. Alle, die wir mit ihnen zusammen im Sommer 2009 mit der Segelyacht Oneway unterwegs waren, Elly, Hannelore, Albrecht und ich saßen im Biergarten und schwelgten von dieser Reise. Wolf wollte das unbedingt wiederholen.
"Alles hat seine Zeit", sagte Hannelore. "Wir haben so schöne Erinnerungen an unsere frühen Türkeireisen. Die türkische Küste ist touristisch herunter geramscht und überfüllt. Alles voller Russen. Ich möchte mir das nicht kaputt machen lassen." Ergo, keine große Begeisterung.
Bei Albrecht war die Lage ähnlich. Seine Erfahrungen, es waren nicht die besten, die er mit Wolfgang auf dessen ersten Segelyacht, der Arayan, auf einer Reise an die nordafrikanische Küste gemacht hat, projiziert er auch heute noch auf jede Schiffsreise. Komfortversprechen im Zusammenhang mit Schiffen, Yachten gar, kann er nicht glauben. Seefahrt heißt bei ihm: permanente Lebensgefahr, alle Warnlampen schalten auf ROT! Ihm wurde damals während einer Nachtfahrt, Kurs Marokko, Tunesien oder Algerien, irgendwo in diesem Quadranten, wo genau wusste eigentlich keiner so recht, von der Schiffsleitung, einer Doppelspitze aus älterem Bruder und einem ehemaligen Kapitän der Bundesmarine, das Schiff anvertraut, weil sich beide nach reichlichem Genuss von Hochprozentigem medizinisch in der Nähe des stadium tremens befanden und dringend der Ruhe bedurften. Das ist eine harte Prägung für einen Unerfahrenen, der zwar hoch wach versucht alles umzusetzen, was man ihm aufgetragen hat, dem aber seine Phantasie heftig zusetzt, weil er in der Nacht fortwährend an Situationen erkennt, denen er bei der Lektüre von Joseph Conrad schon einmal begegnet ist.
Da hilft auch kein Hinweis, dass im Hochsommer an der türkischen Küste praktisch keine Taifune vorkommen. Wer so argumentiert, meint er, kennt sich nun wirklich nicht bei Joseph Conrad aus. Allein die Aussicht, dass Udo von uns eingeladen wird und mit auf die Reise kommt, lässt ihn den Gedanken an eine sommerliche Blaue Reise, die doch immerhin auch in der Literatur vorkommt, ein wenig näher treten.
Schnell werden weitere Kriterien nachgereicht. "Altersgerecht" soll das Schiff sein. Viel Platz, viel Stehhöhe, am besten wie im Kölner Dom. Damit kommt nur eine Gulet in Frage. Und ich verlasse schließlich das Mittagessen unter dem Kastanienbaum mit dem Auftrag an der Backe, diese Reise zu organisieren. "Du warst doch schon so oft da. Und Du verstehst doch etwas vom Segeln".
Der Rest ist eine Mischung aus Vorfreude und organisatorischer Knochenarbeit. Schiff besorgen, Flüge buchen, ein kleines touristisches Auftaktprogramm in Istanbul zu überlegen, Packlisten, Getränkelisten, Passnummern hin und herschicken. Irgendwie an alles denken, was zwischen Mexico City, Karlsruhe, Pforzheim, Istanbul, München und Bodrum relevant sein könnte.
Rein philosophisch gesehen ist aber unsere Startposition gar nicht schlecht. Die wahren Philosophen sind nämlich Pessimisten. Das hat den Vorteil, dass sie immer nur positiv enttäuscht werden können. Eine Crew aus Skeptikern, die das Schlimmste befürchten, ist auch nicht schlecht. Tritt das nämlich ein, was sie befürchtet haben, haben sie Recht behalten. Ansonsten können sie, wenn auf der Reise alles gut geht, nur positiv enttäuscht werden.
Die blaue Reise
30.08.2014, Göcek
Mit beträchtlicher Verspätung landen wir, aus Istanbul kommend, in Dalaman. Istanbul ist mittlerweile zu einem solchen Drehkreuz im Luftverkehr geworden, dass Verspätungen bei der Startfreigabe üblich sind. Das wird ein verkorkster Start, denke ich. Die Zeit läuft uns davon. Wenn man in Eile ist, ziehen sich normale Vorgänge wie Kaugummi in die Länge. Bis das Gepäck kommt, vergeht eine Ewigkeit.
Unseren Abholer finde ich auch nicht gleich. Das wird knapp. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir bei der Ankunft in der Göcek Marina schnell einchecken und am Abend noch auslaufen. Die erste Nacht am Wochenende in einer Marina zu verbringen, in der der Bär steppt, massenhafter Crewwechsel stattfindet, wir vielleicht eine angeheiter-te Männercrew aus Oberösterreich in Armeslänge als Nachbarn ha-ben und im Ort die Disko angeworfen wird, entspricht ganz und gar nicht meinem Wunsch nach einer Blauen Reise.
Wie durch ein Wunder wendet sich momentan alles zum Guten. Exakt zum Sonnenuntergang kommen wir in der Marina an. Ich weiß gar nicht, wo plötzlich so viele Hände herkommen, um unser Gepäck in Windeseile zur SHER M zu bringen. Sükrü, der Eigentümer der Yacht, nimmt uns in Empfang. Zügig erledigen wir die nötigen For-malitäten, es gibt eine schnelle Einweisung in die Regeln an Bord: Trennung von Land- und Bordschuhen, die Empfindlichkeit der Bord-toiletten, Vorstellung der Mannschaft. Für Segler nichts Aufregendes. Ich nehme mir vor, falls etwas unklar gewesen sein sollte, alles noch einmal im Detail zu erklären.
Kaptan Hüseyin und Sükrü bringen zwei Seekarten, die notdürftig aneinander gereiht werden, um mit mir die Route und das Seegebiet abzustecken. Ich juble innerlich, weil ich die von mir sehnsüchtig gewünschten Ankerplätze an der Südküste erkenne. Deine Vorarbeit hat wohl gewirkt. Wir einigen uns auf den südlichen Umkehrpunt, Gökaya. OK, ich bin sofort einverstanden und streiche innerlich den Wunsch Olympos zu besuchen. Gökaya lässt sich in zwei Wochen bequem machen.
Um 20 Uhr laufen wir aus und erreichen bei Dunkelheit eine halbe Stunde später unseren Ankerplatz für die Nacht. N36.734468°, O28.936369° lese ich auf meinem GPS in der Dunkelheit ab. Auch ohne GPS erkenne ich in der Nacht den Anker-platz wieder. Wir lagen hier 2009 am Tag vor unserer Rückreise nach Deutschland vor Anker. Unsere drei Männer von der SHER M legen ein erstes Kabinettsstückchen hin. Ohne viel hin und her, ohne laute Kommandos, wird Sammy mit dem Beiboot losgeschickt. Lustvoll gibt er Vollgas, das Boot bäumt sich vorne auf wie ein noch nicht zugerittener Mustang und fegt los. Während gleichzeitig Koch Erkan den Anker fallen lässt, findet Sammy am Ufer der Insel einen einbe-tonieren Ring, den ein Suchscheinwerfer von Bord aus ihm angezeigt hat. Schnell ist die Heckleine fest. Wir liegen ruhig. In weiter Ferne ankern noch zwei weitere Yachten, die uns nicht stören. Wir haben Frieden und ich realisiere, dass wir mit dieser Mannschaft das große Los gezogen haben. Schnell wechseln alle die Rollen, der Tisch wird gedeckt, besser gesagt die Festtafel im Cockpit, Essen wird aufge-tragen. Feinste türkische Schmurgelküche für 6 Personen. Kein Mensch weiß, wann dieses Essen für uns 6 zubereitet wurde und ich bedauere alle, die an diesem Abend ihr Essen in einer lauten Kneipe in der Marina einnehmen müssen. Innerlich vergebe ich jetzt schon 5 Sterne.
02.09.2014, Kalkan
Ich weiß genau, was Kaptan Hüseyin jeweils vor hat, ich kann seine Manöver einschätzen und Kaptan Hüseyin weiß, dass ich das weiß. Vom ersten Tag an herrscht eine unglaubliche Übereinstimmung zwi-schen uns beiden. Das geht so weit, dass er vorschlägt, dass wir zum Mittagessen eine ruhige Bucht anlaufen (Bilik), dort wird es auch ru-hig sein für die Nacht. Es sollte unser Ausgangspunkt für den Sprung entlang der sieben Kaps nach Kalkan sein. Am Nachmittag füllt sich die Bucht zusehends. Während meine Mitsegler in der Sonne brut-zeln, gehe ich zur Reling und blicke ein wenig sorgenvoll auf die Nachbarboote, die immer dichter an uns heran rücken. Hüseyin blickt fast zum gleichen Zeitpunkt auch sorgenvoll auf unsere Nachbarn. Er schaut mich an: "Ich denke, wir gehen."
"Sehr gute Idee", sage ich. "Welche Alternativen haben wir?" Er holt die Seekarte und zeigt auf die Drachenbucht.
"Bingo". Hüseyin hat wieder einmal einen Treffer gelandet und ich sage ihm, dass er mir, ohne es zu wissen, einen Wunsch erfüllt hat. Wir legen ab. Später verbringen wir einen wunderbaren Spätnach-mittag in der Drachenbucht mit einem schönen Spaziergang hinauf zum nördlich gelegenen Hügel. Im Abendlicht blicken wir hinüber auf den nächsten Abschnitt unserer Reise. Das Abendessen zelebrieren wir lang und ausführlich. Es ist romantisch schönes Fahrtensegeln wie in alten Tagen. Und - wir teilen die Bucht lediglich mit zwei wei-teren Yachten.
Nicht nur mir hat die Drachenbucht gut gefallen. Im Verlauf der Rei-se frage ich: "Was hat Euch auf dieser Reise am besten gefallen?" Daraufhin Wolf ganz spontan: "Die Drachenbucht." "Auf der ganzen Reise?" "Ja, das war toll."
Irgendwann im Lauf der Reise frage ich Hüseyin, wie er sein Schiff einschätzt. "Not a super boat, but also not a shit boat. It is OK.”
Für uns ist die SHER M alles andere als ein shit boat. Es ist das ideale Boot für unsere Gruppe schlechthin. Was Hussein als Nachteil empfindet, seine Yacht hat eine Breite von 6 Metern, sie ist damit zu breit für die Marinas und verursacht zusätzliche Liegegebühren, erweist sich für uns als Glücksfall. Die lange Tafel hinter dem Deckshaus mit ihren bequemen Korbstühlen wird für uns vom ersten Tag an zum Kommunikationszentrum. Einen Großteil der Zeit verbringen wir hier und die Reise nimmt einen völlig anderen Charakter an, als vielleicht ursprünglich angenommen. Es macht einen großen Unter-schied aus, ob man mit langjährigen Freunden zusammensitzt, die man unter dem Jahr einmal für die Länge eines Abendessens sieht oder ob man mehr als eine Woche mit ihnen zusammenlebt. Alte Geschichten werden hervorgeholt, es bleibt Zeit für Nachfragen und Ergänzungen und es ist viel Zeit vorhanden, um in die Tiefe zu gehen.
Die SHER M ist ein Dickschiff, wie es im Buche steht. Komfort steht im Vordergrund, das Seeverhalten ist behäbig und gutmütig, Albrechts Befürchtungen schmelzen schnell dahin. Das Raumangebot und der Komfort an Bord sind gigantisch, so etwas habe ich noch nie auf einem Segelboot gesehen. Natürlich befindet sich im Salon ein großformatiger Fernseher mit Flachbildschirm. Das kann ja nun angehen. Schließlich muss unsere Mannschaft permanent unterrichtet sein über den Stand ihres Lieblingsfußballclubs Fenerbaçe. Ich hatte auf Galatarsay getippt. Das war nicht gut. Drei Daumen senken sich sofort.
Auch in unserer Kabine befindet sich ein Bildschirm. Wer braucht den so etwas? Ich jedenfalls nicht. Trotz aller Vorwarnungen haben wir Übergepäck. Ich weiß auch nicht recht warum. Eigentlich braucht man an Bord eines Seglers in der Türkei nicht viel. Natürlich könnte es sein, dass uns ein arktisches Tief auf dieser Reise überrascht oder dass wir zu einer türkischen Hochzeit eingeladen werden mit ent-sprechendem Dresscode. Dem entsprechend findet sich in unseren Reisetaschen ein reichliches Überangebot an Schuhen, Hosen, Hemden, Kleidern, Schals, Pullovern. Ich mag gar nicht weiter schreiben. Dennoch bleibt beim Einräumen die Hälfte der Schubladen in der Kabine leer. Soviel zum Platzangebot auf diesem Schiff. Kurzum wir sind auf einem Kreuzfahrer gelandet.
Auch technisch gesehen sind wir auf dem neuesten Stand. Die Seekarten liegen eingerollt in der Ecke. Es dauert einige Tage, bis ich verstehen, das das überhaupt kein Sicherheitsrisiko darstellt. Ein handtellergroßer LCD-Bildschirm ist in das Cockpit eingelassen – eine Art Navi mit elektronischer Seekarte von Garmin, mit der die SHER M unauffällig zu den Ankerplätzen geführt wird.
Für uns Gäste hat der Kaptan ein Bord-WLAN eingerichtet. Kaum ist es aktiviert, schon hängen 5 smart-phones, 2 MacBooks, ein PC und ein iPAD, grob geschätzt, am Netz. Das ist Segeln heute, was sich für Nachrichtenjunkies auf ihren Kisten abspielt ist fast wichtiger als die schöne maritime Landschaft, die vorbeigleitet.
Kreuzfahrer-like und professionell gibt sich unsere Crew. Höflich distanziert wird das Schiff gemanagt. Hier die Crew, da die Passagiere. Keine Kumpanei. Klar, der Kaptan ist der Kaptan. Und der ist ver-antwortlich, dass alles reibungslos läuft und wir möglichst ungestört an die Ankerplätze kommen, die wir uns vorgestellt haben. Für ihn bin ich der Hauptansprechpartner und der einzige, der weiß wo wir uns befinden. Mit höflich-professioneller Distanz werden wir behan-delt, bekocht und bedient. Erkan, der Koch hat vielleicht den unbe-quemsten Arbeitsplatz auf dem Schiff. In größter Hitze werkelt er unter Deck und zaubert feinste türkische Küche hervor. Bereits kurz nach dem Frühstück hört man ihn in der Etage unter uns häckseln und klopfen, feinste Düfte steigen in unsere Nasen. Variierende Mi-schungen von Zwiebel, Öl, Köfte, Gemüse, manchmal Fisch überlis-ten uns. Jeder Versuch auf dieser Reise das Gewicht zu halten, wird im Keim erstickt.
Erkan folgt einer strengen türkischen Tradition mit der Gäste bewir-tet und versorgt werden. Am besten beschreibt das Iris Alanyali in ihrer "Gebrauchsanleitung für die Türkei", ein Buch, das ich als Feri-enlektüre mitgenommen habe: "Türken würden Gästen niemals nur einen Teller mit einer fertig an-gerichteten Portion darauf servieren. Am liebsten stellen sie riesige Schüsseln auf den Tisch. Es muss unbedingt mehr als genug für alle da sein, schon wegen des afiyet-olsun-nehmen-Sie-doch-noch-ein-Stück-oh-nein-danke-aber-bitte-nein-wirklich-nicht-aber-natürlich-doch-na-gut-aber-nur-ein-ein-winziges-bißchen-Zeremonie.
Elly gibt zu Protokoll: "Diese Crew ist phantastisch und bietet den besten Service. Ein echtes Team. Das Essen schmeckt so gut, dass wir unmerklich orientalisch-runde Formen annehmen."
Speerspitze des Service an Bord ist Sammy. Geräuschlos und effizient wandelt er die Rollen. Mal ist er Deckshand, mal Küchenhilfe, dann souveräner Oberkellner, der uns den Wein bei unseren langen Tischgesprächen nachschenkt. Vorher hat der die Tafel abgewischt, eingedeckt und das Essen aufgetragen. Ohne dass wir auch nur ei-nen Finger krumm machen müssten, wird wieder abgeräumt. Zwischendurch spielt er Zimmermädchen, säubert unsere Kabinen, das Bad, die Toilette, macht die Betten, versorgt uns mit neuen Handtü-chern und wischt auch den Salon durch, wenn es sein muss. Bei den Ankermanövern fegt er wie ein geölter Blitz mit dem "Joker-Boat" an den ausgedeuteten Platz an Land, um die Heckleinen festzumachen. Jeder Handgriff sitzt. Profi auch er. Lustvoll reitet Sammy mit Vollgas seinen aufgebäumten Mustang, den er aus einer Steilkurve heraus momentan zum Stehen bringen kann, indem er entschlossen den Gashebel auf null stellt.
Von Sammy hört man kein Wort. Er beobachtet und sieht, was getan werden muss. Und wenn ich genau sein will, er ist es, der die Fähig-keit besitzt, Wünsche von den Augen abzulesen. Unsere Gruppe besteht aus Langschläfern und Frühaufstehern. Ich bin normalerweise der Erste, der morgens auf Deck kommt. Alle schlafen noch und ich mache ein paar Stretching-Übungen. Geräuschlos kommt Sammy am ersten Tag und fragt, ob ich einen Kaffee haben möchte. "Küçük, lütfen", sage ich.Seither erhalte ich jeden Morgen, ungefragt und geräuschlos, eine Tasse Kaffee. Nur Sammy und ich sind wach. Irgendwie mag ich ihn.
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