Wie die Blaue Reise erfunden wurde
Man muss dem Militärgericht dankbar sein, dem nichts besseres einfiel, als den Zeitungsschreiber Cevat Sakir Kabaagaçli aus Istanbul in die Verbannung nach Bodrum zu schicken. Der junge Mann hatte über Armeedeserteure geschrieben und seine Sympathie mit jenen nicht verheimlicht. Das war irgendwann 1925.
Als er nach tagelangem Eselsritt in seinem Verbannungsort ankam, begann die große Liebe seines Lebens: Ort, Landschaft und Meer ließen ihn nicht mehr los. Bodrum war damals ein weltabgelegenes Fischernest am Rande der Ägäis, ohne Straßenanbindung - aber mit vielen ungehobenen Schätzen aus alten Zeiten. Am Ende der Dissidentenjahre blieb der Verbannungsgast in seinem "glücklichen Exil" und wurde Schriftsteller.
Über diese Zeiten und die Schätze des alten Halikarnassos schrieb Cevat Sakir beachtete Bücher. Er freundete sich mit Fischern und Schwammtauchern an und legte seinen bürgerlichen Namen ab. Als "Halikarnas Balikci" (Fischer von Halikarnassos) ist er heute Ehrenbürger von Bodrum und wird mit Statuen, Zeitungsberichten und Straßennamen geehrt.
Leider sind seine Bücher (noch) nichts ins Deutsche übersetzt. Seine besondere Liebe galt dem Meer und der meernahen Landschaft. Liebevoll berichtete er über die Küste und die vorgelagerten Inseln, erzählte Geschichten und machte seine türkischen Leser mit der griechischen Mythologie vertraut.
Für seine Entdeckungsfahrten an der Küste mietete er in den 50er Jahren einfache Fischer- oder Schwammtaucherboote und lud dazu seine Freunde ein - meist ebenfalls Schriftsteller und Maler aus Istanbul. Wochenlang trieben sie sich durch die Buchten des Gökovagolfes, lebten einfach, angelten, fischten, backten Brot an Bord und ließen den lieben Gott einen guten Mann sein. In seinen Reiseberichten nannte er diese Fahrten begeistert "mavi yolculuk", Blaue Reise.
Von Jahr zu Jahr werden die Boote ein bisschen größer und wohl auch ein wenig komfortabler, denn immer mehr Freunde wollen an seinen Reisen teilnehmen. Nach seinem Tode (1973) führen seine Freunde die Tradition der "Blauen Reise" fort. Heute leben einige Tausend Einheimische zwischen Bodrum und Antalya von der Blauen-Reise-Industrie - als Bootsbauer und -Ausrüster auf den Werften, und als Kapitäne, Köche und Matrosen an Bord.
Der Trend geht unaufhaltsam zu "noch größer" und "noch komfortabler". Aus Zweimastern werden Dreimaster, aus 6 Kabinen- 12- und Mehr-Kabinenschiffe. Turbodiesel, Klimaanlagen und Tiefkühltruhen gehören bereits zum Standard. Ganz gleich, was der alte Mann sagen würde, wenn er - was aus seiner schlichten Idee geworden ist - heute sehen würde: Für uns ist eine "Blaue Reise" auf einem der traditionellen türkischen Holzschiffe ein Segel-Abenteuer mit Rundum-Service und einmaligen Naturerlebnissen.
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